Paul Bühler: Aus dem Leben des Grafen Saint Germain
Paul Bühler: Zwei Aufsätze
Aufsatz von Paul Bühler:
„Aus dem Leben des Grafen Saint Germain“
in: Der Weltenwanderer, Drama in einem Vorspiel und sieben Szenen
„Graf Saint Germain, der im 18. Jahrhundert eine wichtige Rolle im Kampf und die Anerkennung der Menschenrechte gespielt hat, erscheint in der Geschichte in einem verzerrten Bild dadurch, dass er von politischen Gegenspielern überall verleumdet worden ist. Auch haben sich einige Scharlatane seinen Namen beigelegt, so dass deren Treiben ihm zugeschrieben wurde. Doch gibt es noch genug bezeugte Tatsachen, die es ermöglichen, seine wahre Gestalt im rechten Lichte zu sehen.
Graf Saint Germain ist in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts an verschiedenen Höfen aufgetaucht und verblüffte durch seine alchemistischen Fähigkeiten, die oft für Zauberei gehalten wurden. Er versuchte, einen auf soziale Reformen gerichteten Einfluss auszuüben. Zum Beispiel in Frankreich, wo sich das Volk in größter Verarmung befand und wo der Kolonialkrieg mit England die letzten Mittel verschlang. Er suchte dort durch chemische Experimente die Belebung der Industrie zu fördern. Dann erhielt er von Ludwig XV. Vollmacht zu Friedensverhandlungen mit England in Holland, und er erlangte dort in kurzer Zeit ein für Frankreich günstiges Friedensangebot. Auch die niederländischen Bankiers waren durch seine Fürsprache bereit, Frankreich Kredit zu gewähren, was die Not der Bevölkerung gelindert hätte.
Wären Saint Germains Intentionen durchgedrungen, so wäre viel getan gewesen, um die Revolution zu verhindern. Aber sie wurden durchkreuzt von Minister Choiseul, dem Vertreter des österreichischen Einflusses in Frankreich. Dieser sandte einen Haftbefehl an den französischen Botschafter im Haag, den Schweizer Grafen d’Affry, der Saint Germain festnehmen sollte. Saint Germain konnte sich der Verhaftung nur durch die Flucht entziehen. Er begab sich zunächst nach England und dann nach Russland. Dort übte er seinen Einfluss auf den Grafen Panin aus, der als Verfasser der Manifeste angesehen werden muss, die im Jahre 1762 bei der Thronbesteigung Peters III. verkündet (doch bald widerrufen) wurden und einen Versuch darstellten, in Russland eine menschlichere soziale Ordnung einzurichten. Außerdem gab das Manifest den Herrschern Europas den ersten Anstoß zur Beendigung des Siebenjährigen Krieges.
Es folgte dann ein Versuch Saint Germains, Friedrich den Großen für ein Wirtschaftsprogramm zu interessieren, das völkerverbindend hätte wirken sollen. Aber die Ratgeber Friedrich des Großen verhinderten, dass darauf eingegangen wurde.
Nun schwand Saint Germain jede Aussicht auf Verwirklichung seiner Pläne. Schließlich fand er durch den Prinzen Karl von Hessen ein Asyl in Eckernförde (Schleswig). Dort soll er 1784 gestorben sein. Es gibt aber auch Berichte, die schildern, wie er vor der Französischen Revolution in Paris wieder auftauchte, um verschiedene Persönlichkeiten, unter anderem Ludwig XVI., vor der nahestehenden Katastrophe zu warnen. Dieses Wieder-auftauchen wird in dem Drama in den beiden letzten Szenen geschildert. […]
Aus den geschichtlich nachweisbaren Tatsachen ist zu erkennen, dass Graf Saint Germain eine bedeutende Persönlichkeit mit tiefem Wirklichkeitssinn gewesen sein muss, welche eine hohe Spiritualität in geistesgegenwärtige Tat verwandelte, um die Geschicke der Zeit zum Guten zu lenken.“
Rosenkreuzerische Kulturimpulse und ihr Schattenbild
In seinem Aufsatz „Rosenkreuzerische Kulturimpulse und ihr Schattenbild“, welcher im Aufsatzband „Kulturimpulse in der Dichtung“ enthalten ist, geht Paul Bühler noch genauer auf die Person des Grafen Saint Germain und die okkulte Strömung ein, der er angehörte. Er schreibt dort u.a.:
„Das Bemühen der wahren rosenkreuzerischen Geistigkeit, die erwachten Impulse in die richtigen Bahnen zu lenken, wird in dem Drama ‚Der Weltenwanderer‛ geschildert, besonders im Vorspiel, wo der Weltenwanderer – Christian Rosenkreutz -, der in der exoterischen Erscheinung des Grafen Saint Germain wirkt, einzugreifen versucht, um dem Revolutionär die von ihm falsch verstandenen Worte aus seinem menschlichen Denkbewusstsein heraus zu entwickeln und so richtig zu „confundieren“.
Der Weltenwanderer: Was einst als Trinität vom Kosmos her,
das Leben lenkte und behütete,
wird aus den Menschen, die ihr Ich gefunden,
als Tatgedanken wiederum erstehn,
dass sie erleben: wir sind gottgeboren,
im Christus sterben macht die Seele frei, –
im gleichen Weltengeist sich finden heißt:
den anderen anerkennen und ihn lieben.
Die Freiheit ist: auf eignem Ich zu gründen,
frei von Gebot, doch frei auch von dem Trieb.
Und Gleichheit heißt: In Jedem zu verehren,
dass ihn der gleiche Weltengeist erfüllt; –
und Bruderschaft führt uns zum Opferbringen
dem Nächsten, der der Weltvollendung dient.
Es wird in dem Drama dann versucht, die Erkenntnis von der Reinkarnation, die in jener Zeit wieder auftaucht […] als lösendes Motiv in die Handlung hereinspielen zu lassen.“