Graf Saint Germain in der Literatur – Faktengerüst
Graf Saint Germain in der Literatur Friedhard Radam
Faktengerüst
Allgemeine Bemerkungen
Was ist wirklich an Saint-Germains Biographie gesichert? In das folgende Datenschema habe ich nur Dinge aufgenommen, die zeitlich fixierbar sind, es fehlen also Handlungen Saint-Germains, die undatiert überliefert sind; soweit sie relevant sind, habe ich sie im Fluß des Textes wiedergegeben. Es fehlen auch Charakteristika, die nicht an Zeitpunkte gebunden sind, wie z. B. spezifische Tätigkeiten und Fähigkeiten, diese sind unter Punkt F. behandelt. Aus dem gleichen Grunde habe ich hier auch nicht die nicht einigermaßen genau dokumentierten Reisen St.-Germains aufgenommen, zumal etliche davon vielleicht ins Gebiet der Legende gehören. Verzichtet habe ich andererseits auf belegbare Einzelheiten, die für diese schematische Darstellung unergiebig sind. Was sollte einem Nichtfachmann die Angabe nützen, der Graf habe im Jahre 1760 von Holland aus einen Kurzbesuch in Altona gemacht? Fast ganz unterdrückt habe ich auch die Erwähnung gesellschaftlicher Aktivitäten und Beziehungen. Man könnte damit mühelos Seiten füllen, aber ich habe in diese Übersicht nur aufgenommen, was für den Zusammenhang wichtig oder im Hinblick auf St.-Germain „personalpolitisch“ von Bedeutung ist. Die Aufgabe ist schwierig genug. Ich brauche hier nicht zu betonen, daß ich alle Angaben aus zweiter Hand übernehmen mußte, sie also nur auf vermuteter Glaubwürdigkeit und Wahrscheinlichkeit fundieren kann. Es ist ein Vorgang des Ausfilterns nach dem Maße der Plausibilität. Ein großer Teil der Literatur läßt sich letztlich auf ganz wenige Quellenwerke zurückführen, eigentlich ist es nur eine Handvoll (siehe die Einzelerläuterungen in der Bibliographie). Das wenigste, was St.-Germain getan hat, ist aktenkundig geworden. –
Datenschema
Fakten
1696 (28.5.) Geburt in Cluj (Klausenburg); Eltern: Franz II. Rakoczy , Fürst von Siebenbürgen (Transsylvanien) ; Amalie Charlotte von Hessen-Rheinfels [lt. Wikipedia: Charlotte Amalie von Hessen-Wanfried (red.)]
Vornamen: Leopold Georg oder
1700 in Bayonne. Eltern: Marie-Anne von Pfalz-Neuburg; Juan-Thomas Enrique de Cabret Herzog von Rioseco, Graf von Melgar, Almirant von Kastilie
1743 London, erstes Erscheinen in der Öffentlichkeit, (erstes Dokument aus dem Jahre 1745); u.a. mit Prinzen von Wales bekannt; für kurze Zeit in bis seiner Wohnung als „Jakobit“ (oder auch angeblicher Spion) arretiert; Bekanntwerden als Violonvirtuose und Komponist,
1746 nach Deutschland, von wo er, nach eigenen Worten, auch hergekommen (selten genauer lokalisiert); seit ca. 1740 lasse er dort auf einer „domaine“ Leute für sich an Farbherstellung arbeiten;
(1755) Reise nach Indien mit Oberst Clive (nach Graf Lamberg, daher fraglich). (s. Bibliographie).
1758 Paris, dann königl. Schloß Chambord / Loire, nach Empfehlungsbrief an Marquis de Marigny, Bruder Mme. Pompadours; bei Hofe eingeführt; in Ch. Laboratoriumsarbeiten (offiziell mit Farben); bis Ende desselben Jahres wieder eingestellt wegen Schwierigkeiten des Transports von Materialien aus Deutschland; Teilnahme an „petits soupers du roi“, dort Erzählungen von Reisen nach Rußland, Türkei, Asien, Afrika.
1760 im geheimen Auftrag von Marschall de Belle-Isle (Kriegsminister) / Mme. Pompadour / Ludwig XV. in Holland zwecks 1.Aufnahme eines Kredits für den König von Frankreich (vielleicht nur Tarnung); 2. Friedensunterhandlungen mit England über den Botschafter Yorke, (im Ansatz auch mit Preußen); Scheitern a) weil er für Engländer nicht ausreichend autorisiert; b) da er vermutlich aus Eitelkeit zuviel in der „Öffentlichkeit ausplaudert; c) da Außenminister hinter das Komplott gegen seine offizielle Politik kommt und St.-Germain verhaften lassen will; vom König fallengelassen; mit Hilfe hol. Regierungsmitglieder Flucht nach England, dort als unerwünschte Person wieder abgeschoben; Version a): Berührungsängste der offiziellen Stellen, b): St.-Germain = angeblicher Spion Choiseuls (!); heimlich wieder zurück nach Holland, dort unter Schutz des Grafen Bentinck van Roon (Bevollmächtigter des Rates der Generalstaaten).
1760 Erwerb von Schloß und Gut Ubbergen in Gelderland (als M. de Surmont); Laboratoriumsarbeiten; Besuch seines Freundes, des Malers Pierre Rotari, in Rußland, wieder zurück nach Ubbergen.
1763 Minister Choiseul entlassen, Ende der Verfolgung; nach Tournai in österr. Niederlanden; Verbindung mit kaiserlichem Botschafter Cobenzl; zunächst mit dessen Wohlwollen Beteiligung an Gründung einer Fabrik (Tuchfärberei); nach Miteinbeziehung von Minister Kaunitz wird er schließlich von Habsburg ausgebootet.
1764 Reisen und Aufenthalte in Italien. Mantua?, Genua?, gesehen von Graf Lamberg in Venedig „au milieu de cent femmes“, die für ihn Linnen bleichen;
1767 in Sienna (nach Mme. de Genlis).
1774 beim Markgrafen von Ansbach in Schwalbach bis und Triesdorf / Mittelfranken.
1776 in Sachsen; offizieller Antrag des Grafen Marcolini, seine „Geheimnisse“ gegen Belohnung mit wichtigem Posten dem Dresdner Hof zur Verfügung zu stellen; lehnt ab, da er es nicht nötig habe, sich in Dienst zu begeben. Interesse verschiedener Fürstenhöfe an ihm, auch seitens Friedrich II. von Preußen, aber „uniquement par curiosite“; er schickt Friedrich eine Liste seiner Fertigkeiten (s. Folgeseiten), erhält keine Einladung, sei aber „libre de venir á Potsdam“; St.-Germain verzichtet.
1777 auf Einladung Friedrich Augusts von Braunschweig und mit Zustimmung Friedrichs II. in Berlin; Verkehr in dortiger Gesellschaft; sicher: Besuch bei Prinzessin Amalie, Schwester Friedrichs (nach einigen Autoren auch Empfang bei diesem selbst).
1778 Altona (damals Hauptstadt des dänischen Holstein); Aufnahme von Kontakten mit Landgrafen Karl von Hessen-Kassel, dem Statthalter des Dänenkönigs.
1779 nach Schloß Gottorf / Schleswig, dessen Residenz; Karl wird sein Freund und Schüler; alchimist. / chem. Arbeiten im „Freimaurerturm des Sommersitzes Louisenlund an der Schlei; Herstellung des „Carls-Metalls“, einer Legierung, die noch jetzt in der Eisenhütte zu Rendsburg-Büdelsdorf verarbeitet wird; gibt viele Hinweise zur Herstellung von Pharmazeutika; u. a. für den heute noch gemischten „Saint-Germain-Tee„.
1781 Übernahme der ehemals Otteschen Fabrik in Eckernförde; wieder Versuche mit Färben von Stoffen;
1784 (27.2.)Tod in Eckernförde; in der dortigen St.- Nicolai-Kirche beigesetzt.
Kommentar:
Wie man sieht, handelt es sich hier über weite Strecken hin beinahe um zwei verschiedene Lebensläufe, die sich nur gelegentlich kreuzen. Ins Auge fällt vor allem, daß bei Frau [Irene] Tetzlaff die Leere, die bei den anderen Darstellungen mehr als die erste Hälfte der Vita von Saint-Germain beherrscht, quasi aufgefüllt ist. Bei den „orthodoxen“ Biographen, wie ich sie hier einmal nennen will, ist ja vor allem dies auffallend eigentümlich, daß der Graf erst als nahezu Fünfzigjähriger überhaupt in die Welt tritt! Aber auch sonst gibt es zahlreiche Punkte, die entweder ganz neu sind oder nicht übereinstimmen. Ich erwähne nur das Faktum, daß Saint-Germein nach der „Zeittafel“ schon 1730 ein erstes Mal in Chambord gewesen sein soll. - Ganz abgesehen von diesen Unstimmigkeiten ist aber ohnehin der jetzige objektive Wissensstand – soweit man davon reden kann – noch keinesfalls für das allgemeine Publikum gesichert, wie an Katalogen, Nachschlagewerken und Anmerkungen zur Person Saint-Germains in belletristischer Literatur zu ersehen ist. –
Redaktionell:
Ungestaltetes Scan-Exemplar. Fußnoten aus techn. Gründen entfernt Stichworte dieser Seite (für evtl. Verschlagwortung), Links verweisen zu Wikipedia:
Charlotte Amalie von Hessen-Wanfried, Charles Louis Auguste Fouquet de Belle-Isle (?), Madame de Pompadour, Ludwig XV., Johann Karl Philipp Graf Cobenzl, Philipp von Cobenzl, Wenzel Anton von Kaunitz-Rietberg, Christian Friedrich Karl Alexander von Brandenburg-Ansbach, Friedrich II. von Preußen, Friedrich August von Braunschweig-Wolfenbüttel, Prinzessin Anna Amalie von Preußen, Karl von Hessen-Kassel,
Franz II. Rakoczy, Marie-Anne von Pfalz-Neuburg, uan-Thomas Enrique de Cabret, Herzog von Rioseco, Graf von Melgar, Almirant von Kastilie, Marquis de Marigny, Abel-François Poisson de Vandières, marquis de Marigny, Marschall de Belle-Isle, Grafen Bentinck van Roon, Pierre Rotari, Schloß Gottorf, Schleswig, Louisenlund, Saint-Germain-Tee, [2],