Graf Saint Germain in der Literatur – Legende und Nachleben
Graf Saint Germain in der Literatur Friedhard Radam
Legende und Nachleben
des Grafen von Saint-Germain
Legende
Gar nicht zu trennen von den Fakten ‚ ist im Falle Saint-Germains die Legende. Sie beginnt bei kleinen legendären oder doch merkwürdigen Einzelheiten. So soll er in Mexico eine begüterte Frau geheiratet haben und dann mit deren Geld nach Konstantinopel geflohen sein; so erzählt man auch, er soll nach Indien – das in seiner Vita vielleicht selbst schon eine Legende darstellt – einen Sohn mitgebracht haben. Derselbe Lamberg, der das erzählt, versammelt noch mehr Kunststücke (er ist aber bei weitem nicht der einzige). Saint-Germain hätte mit beiden Händen gleichzeitig schreiben können und zwar so, daß beide Schriften nicht voneinander zu unterscheiden gewesen wären. Lamberg stellt selbst ungewollt einen eigenartigen Zusammenhang her, wenn er davon berichtet, Saint Germain würde ein Stammbuch herumzeigen, in dem ihn Michel de Montaigne im Jahre 1580 mit einer Eintragung beehrt hätte. ‚ Auch soll er die Fähigkeiten gehabt haben, Bienen zu zähmen und den Schlangen Musik beizubringen. Neben diesen Kleinigkeiten haben sich aber vom Anfang seines Auftretens an zwei für seine Fama charakteristische Merkmale herausgebildet, die eng zusammenhängen und sich bis heute erhielten. Das eine ist seine unbegrenzte Langlebigkeit, seine Unsterblichkeit, das andere sein angebliches Mittel dafür, das „Aqua benedetta“ oder Lebenselixier. Über diese Flüssigkeit habe ich schon gesprochen. Die reale Fähigkeit, sich jugendfrisch zu erhalten, die er auch, meist unverstanden, propagierte, sah sehr viel einfacher aus. Er trank nie beim Essen, aß äußerst maßvoll, und überhaupt lebte er, nach den Worten Gleichens, der ihn ja ein halbes Jahr lang beobachtet hatte, „d’un grand régime“. Und eben dieser Baron von Gleichen, von dem wir wissen, daß ihn Sensationellen überaus reizten, gibt an der gleichen Stelle ganz nüchtern von sich, „je ne l’ai jamais entendu parier d’une médicine universelle“. Schwieriger haben wir es mit der Folge des angeblichen Wassergenusses, mit seiner absoluten AIterslosigkeit. Ich könnte eine ganze Abhandlung allein schon mit den Recherchen über berichtete Aktivitäten Saint-Germains nach 1784 füllen, mit Reports darüber, wo er überall gesehen und gesprochen worden sein soll. Es begann nicht erst damit, daß man ihm im Jahre 1836 in Schleswig in seiner jetzt altertümlich gewordenen Tracht dem Leichenzug seines Gönners Karl folgen sah, hat sich aber besonders gut dem Publikum eingeprägt. Ganz besondere Nahrung fand das Gerücht seiner Körperlosigkeit noch in jüngerer Zeit, als man seine Gruft in der Nicolai-Kirche leer fand; nur hatte man sich leider, wie sich dann herausstellte, in der Nummer geirrt. - Aus einem etwa bestehenden Dilemma zwischen Glauben und Zweifel kann man sich herausretten durch den einfachsten aller Auswege, nämlich den zu St.-Germain selbst. Madame Duhausset, die zu den vernünftigeren unter seinen Chronisten zählt, machte sich eines Tages, nach einer seiner Historiendarbietungen, daran, wegen der kritischen Punkte in ihn zu dringen:
“Wie es scheint, haben Sie das alles gesehen.“ – „Mein Gedächtnis ist stark“,
sagte er,
„und ich habe die französische Geschichte eingehend studiert. Bisweilen erlaube ich mir den Spaß, die Leute zwar nicht glauben zu machen, aber glauben zu lassen, daß ich in den ältesten Zeiten gelebt habe“. – „Aber schließlich sagen Sie doch nicht, wie alt Sie sind, und Sie geben sich für sehr alt aus. Die Gräfin von Gergy, die vor 50 Jahren Botschafterin war, ich glaube, in Venedig, behauptet, Sie so gekannt zu haben, wie Sie jetzt sind.“ – „Allerdings Madame, habe ich die Gräfin von Gergy vor langer Zeit kennen gelernt. “ – „Aber nach dem, was sie sagt, müßten Sie jetzt über 100 Jahre alt sein.“ – „Das ist nicht unmöglich,“ sagte er lachend, „aber wie ich zugebe, ist es noch möglicher, daß die verehrte Dame Unsinn redet.“ – „Sie behauptet, Sie hätten ihr ein Elixier von wunderbarer Wirkung gegeben. Sie hätte infolgedessen lange wie eine Vierundzwanzigjährige ausgesehen. Warum geben Sie dem König das Elixier nicht?“ – „Ach, Madame“, versetzte er mit einer Art von Schauder, „wenn ich mir bekommen ließe, dem König eine mir unbekannte Arznei zu geben, müßte ich wahnsinnig sein.“
Meiner Meinung nach ziemlich lapidare Antworten. - Einen sehr viel akzeptableren Sinn erhält Saint-Germains „Unsterblichkeit“, wenn man sie in der Beleuchtung durch die Reinkarnationstheorie sieht. Ihr zufolge kann sich aber nicht das Individuum Saint-Germain ständig reproduziert haben, sondern eine umfassendere geistige Individualität würde sich zu einem ganz bestimmten Zeitpunkt in dem Einzelwesen Saint-Germain verkörpert haben. Ein ewiges Leben in diesem Sinne ist aber etwas anderes als grenzenlose Langlebigkeit. Auch das irdische Dasein des historischen Buddha hat seinen Abschluß gehabt.
- weiter: Nachleben
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Redaktionell:
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Gräfin von Gergy, Graf Lemberg, Michel de Montaigne, Aqua benedetta, Lebenselixier, Baron von Gleichen, Karl von Hessen.Kassel, Schleswig, st-Nicolai-Kirche Eckernförde, Madame Duhausset,